Berlin/London - Ende letzter Woche hatte der Kanzler-Anwalt Michael Nesselhauf einen Erfolg seines Mandanten Gerhard Schröder verkündet. Per einstweiliger Verfügung des Landgerichts Hamburg hatte der Jurist dem Massenblatt "Mail on Sunday" verbieten lassen, weiterhin über eine angebliche Ehe-Krise des Kanzlers zu schreiben. Bei Zuwiderhandlung droht dem Blatt eine Strafe von 250 000 Euro. Zuvor hatte die Boulevard-Zeitung recht ungeniert über einen vermeintlichen Zwist in der Kanzler-Ehe geschrieben und gar Gerüchte über vollkommen unbewiesene neue Liebschaften des Kanzlers veröffentlicht.
Doch der gerichtliche Maulkorb scheint die britischen Zeitungsmacher erst recht angestachelt zu haben. Nun droht der Streit zwischen dem Bundeskanzler und dem britischen Boulevardblatt "Mail on Sunday" zu eskalieren. Das Blatt vertrat am Wochenende den Standpunkt, es brauche der Anweisung eines deutschen Gerichts nicht Folge zu leisten. Ein deutsches Gericht habe nicht die Macht, eine britische Zeitung davon abzuhalten zu schreiben, was sie wolle. "Auf Grund der anderen Tradition und unserer starken Demokratie können wir solches Material veröffentlichen und glauben, wir haben jedes Recht dazu", schrieben die Zeitungsmacher in einer Mitteilung an ihre Leser.

Mit gezielter Ironie bedauerten die "Mail"-Chefs die deutschen Journalisten, die von rigiden Gesetzen gebremst und daran gehindert würden, gute Arbeit zu leisten. Falls solche Regeln auch in England angewandt würden, "wären wir keine freien Menschen mehr."

Doch damit nicht genug: In deutscher Sprache wandte sich das Blatt ausdrücklich an deutsche Leser und lud sie ein, bei den britischen Journalisten anzurufen, "wenn Sie irgendwelche Geschichten kennen, die Herr Schröder peinlich finden würde und die die deutsche Presse veröffentlichen sollte." Der Kommentar ist überschrieben mit den eindeutig verhöhnenden Worten: "Entschuldigung, Herr Schröder, aber Sie beherrschen England nicht... zumindest noch nicht." Mit seinem Verhalten zeige Schröder eindrucksvoll, dass die Briten viele Rechte verlieren würden, wenn sie sich weiter in die EU integrieren würden.

Ein deutscher Regierungssprecher wies den Vorwurf der Zensur am Sonntag zurück. In Berlin sagte er, solche Aussagen richteten sich gegen die, die sie verfassten. Den Vorwurf der Zensur sei ungerechtfertigt, da es sich um eine Entscheidung handele, die in voller Unabhängigkeit und Souveränität der deutschen Gerichte getroffen worden sei.

Ähnliche Verfügungen wie gegen die "Mail" hatte der Kanzler auch gegen zwei deutsche Zeitungen bereits Ende vergangenen Jahres durchgesetzt, nachdem die "Märkische Oder-Zeitung" ("MOZ") und die "Südwestpresse" mit sehr viel mehr Distanz als die "Mail" und auch in den Details weit zurückhaltender über Ehe-Gerüchte berichtet hatte. Am Dienstag wird das Verfahren erneut vor dem Berliner Landgericht verhandelt, da die "MOZ" die einstweilige Verfügung Schröders angefochten hatte, die ebenfalls mit einer angedrohten Strafe von einer Viertel Million Euro verbunden ist. Der Anwalt der "MOZ" will den Vorgang sogar in einem Hauptsacheverfahren klären lassen, da er die Pressefreiheit seines Mandanten durch das rigide Verhalten Schröders in Gefahr sieht.

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Quelle: SPIEGEL ONLINE, 18.1.2003

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